Die Antwort auf alle Fragen

Ach, was schlagen die Wellen gerade mal wieder hoch um den Kampf DSLR gegen DSLM… Der epische Kampf um richtig oder falsch, Zukunft und Vergangenheit, Wahrheit oder Irrweg treibt bei facebook Menschen zu verbissenen Diskussionen, zu Kommentaren mit dem Messer zwischen den Zähnen bis hin zu Beschimpfungen und ernsthaften Verbalinjurien. Muss das sein?

Ich möchte mal versuchen, die Dinge etwas geradezurücken und kann dann immer nur auf diesen Blogpost verweisen, in dem dann alle Fragen endgültig und allumfassend geklärt werden. Daher auch der verwegene Titel dieser Zeilen…

In meiner persönlichen Filterblase tobt gerade der finale Kampf über die Deutungshoheit bezüglich der Fujis (X-T2 und X-Pro2). Sind sie nun der ultimative DSLR-Ersatz oder eben doch nur mackenbehaftete Kinderspielzeuge, die beim ersten Einbruch der Dämmerung versagen, einfrieren oder nicht mehr auslösen?

Ich gehöre zu dem Umsteigern von der DSLR und habe in verschiedenen Blogposts versucht, Für und Wider und vor allem meine eigenen Erwartungen kritisch zu reflektieren, um meinen geistigen Umstiegsprozess nachvollziehbar und plausibel zu machen. Ich habe versucht, dabei nicht der reinen Euphorie zu huldigen, sondern auch kritische Punkte, Einschränkungen und vor allem meine Gedankengänge dazu so darzustellen, dass ein realistisches Bild über Chancen und Risiken eines Umstiegs entsteht. Meinen Eindruck über die Diskussion habe ich mal in ein paar Thesen zusammengefasst.

1. Es bewegt sich etwas

Alleine die ganzen Diskussionen zeigen, dass die Fotografie und ihre Technik sich verändern. Die Entwicklung der DSLM ohne Spiegel hat den Markt in Bewegung gebracht und setzt die DSLR unter Druck. DSLM sind für einige echte Alternativen geworden. Dies gab es vorher nicht. Die Diskussionen beschränkten sich auf die Frage, ob man Nikon oder Canon mehr mochte. Heute ist Hochsaison für Glaubenskriege, nachdem „Apple vs. Windows“ und „Nikon vs. Canon“ mit einem faden Unentschieden beendet wurden.

2. Jeder Umstieg kostet

Er kostet vor allem Geld, aber er kostet vor allem Mühe, Umgewöhnung, Geduld, Anpassung, Einlassen auf ein neues System, Offenheit und die Bereitschaft zu lernen, Kompromisse einzugehen und einen neuen Weg des Fotografierens zu finden. Wer diese grundsätzliche Bereitschaft nicht mitbringt wird zum einen enttäuscht werden, zum anderen mit dem neuen System schlechter fotografieren, als mit dem alten. Suche ich im Neuen immer nur das Vertraute, Alte, hat das Neue keine Chance. Meine Fotografie könnte sogar schlechter werden.

3. Der Schweinezyklus der Emotionen

Phase 1: Besitzstandswahrung

In der ersten Phase finden wir toll, was wir haben und verteidigen das. Unser System ist das Beste, alles andere ist Unsinn. Wir schwören auf unser System, kaufen für Unsummen immer mehr davon, was uns dazu zwingt es noch vehementer zu verteidigen, schließlich steckt unser Vermögen da drin. Wir streiten in Foren mit den Besitzern anderer Systeme oder denen, die von meinem System auf ein anderes umsteigen wollen.

Phase 2: Zweifel

Je länger wir es haben, desto mehr Unzulänglichkeiten nerven uns. Wir schauen uns nach Alternativen um und saugen alles auf, was wir finden. Der Wunsch nach Umstieg entsteht und wird immer größer, unsere Wahrnehmung engt sich ein auf die positiven Seiten des Umstiegs ein und blendet Kritisches aus. Irgendwann haben wir genug youtube-Videos gesehen und Blogposts gelesen und fassen uns ein Herz.

Phase 3: Umstieg

Weg mit dem alten Gerümpel, willkommen Fuji/Sony/was auch immer. Wir verkaufen unser altes System, verlieren unfassbar viel Geld und stecken den kläglichen Rest in ein neues System, dem wir alle unseren fotografischen Hoffnungen anvertrauen. Dieses geile Gefühl, ohne schlechtes Gewissen in einen Laden zu gehen und gleich mit 5 Kisten herauszukommen. Eine so rationale und wohlüberlegte Entscheidung kann nicht schlecht sein. Und sie ist mit Kaufen verbunden! Wunderbar!!

Phase 4: Markenbotschafter ohne Auftrag

Begeisterung über das Neue greift um sich und will in die Welt posaunt werden. Wir schreiben Blogposts, machen Videos, die wiederum Menschen lesen und sehen, die sich gerade in Phase 2 befinden. Unsere Investition und unser Geldverlust wollen gerechtfertigt werden, wir sind also zu 100% begeistert über unsere neue Kamera. Alles ist großartig, leicht, fein und neu. Unser altes System ist plötzlich Schrott, war eigentlich ein Missverständnis. Alle Besitzer sind Ewiggestrige, die die hoffnungsvolle Morgenröte der Zukunft nicht sehen wollen.

Phase 5: Ernüchterung

Erste Kinderkrankheiten ignorieren wir. Auch dass sich bestimmte Hoffnungen nicht erfüllen, unsere Bilder nicht gleich so großartig aussehen, wie in den ganzen Blogposts, die wir gelesen haben, blenden wir aus. Fummelige Abdeckkappen, wunderliche Funktionen oder echte Fehler? Geschenkt!! Unsere ganze Euphorie ist auf der Seite des neuen Systems, mit Wohlwollen überdecken wir offensichtliche Schwächen, kaufen Dinge, um diese auszugleichen und schieben offensichtliche Defizite auf noch nicht vorhandenes Equipment.

Phase 6: Betäubung durch Kauf

Das GAS (Gear Akquisition Sydrome) schlägt zu. Waren wir angetreten, in Zukunft ganz schlank mit einer Kamera und einem 50mm zu fotografieren, müssen nun doch noch ein paar Linsen, Blitze, Filter, Akkus, Auslöser etc. dazukommen. Der Schrank füllt sich, das Konto leert sich, eine neue Fototasche für das neue kleine System muss her, schließlich ist die alte nun zu groß und eben auch alt. Die Suche nach Blogposts über die neue Kamera ersetze wir durch die Suche nach Objektivtestes und Blitzdiskussionen. Nach allem fragen wir im Internet. Und finden Leute, die uns begeistert Auskunft geben.

Phase 7: Besitzstandswahrung

Jetzt wird es gefährlich: Wir befinden uns wieder am Anfang unseres Kreislaufs. Wir können von vorne anfangen, beginnen, unser neues System zu hassen und nach Alternativen zu schauen. Wir klagen laut über die Einschränkungen des neuen Systems, die wir einst bewusst gewählt haben, beweinen unerfüllte Hoffnungen, bereuen lautstark unseren Schritt, sehnen das Alte zurück, weil wir die Steilheit der Lernkurve unterschätzt haben.

Oder wir wählen den Weg der Erkenntnis: An der Wegscheide steht ein weiser Mann mit einem langen weißen Bart und fragt uns mit rauer Stimme, ob wir unser Leben als rastlose Systemwechsler verbringen wollen oder ob wir ein höheres Level der Erkenntnis erreichen wollen. Wir entscheiden uns für die Erkenntnis. Auch weil unser Konto leer ist und uns das günstiger erscheint.

4. Erkenntnis

Der alte weise Mann nimmt uns mit in seine Höhle. An den Wänden hängen Kameras aller Marken und Generationen. Der alte Mann gibt uns einen Tee, bittet uns ans Lagerfeuer und beginnt:

„Mein Sohn, höre mir zu. Keine Kamera ist perfekt. Suche das für Dich passende Werkzeug und arbeite an Deiner Perfektion, damit umzugehen. Passend bedeutet: Es erledigt die anstehenden Aufgaben mit den wenigsten Kompromissen. Meide Superlative, denn sie dienen nicht Deiner Arbeit, sondern dem Verdienst des Herstellers. Lerne aus Fehlern, suche die Herausforderung, riskiere Dein Scheitern und lasse Dich nicht entmutigen. Suche den Fehler nicht im Gerät, sondern in Dir. Lies keine Blogposts, sondern kümmere Dich um Deine künstlerische Entwicklung, vermeide Streit mit anderen Fotografen, denn er hält Dich ab von Deiner eigenen Entwicklung. Denke daran, welche Wunderwerke bisher in der Fotografie entstanden sind und mit welcher Technik sie gemacht wurden. Freunde Dich mit dem Unperfekten an, es wird Dein ständiger Begleiter sein.

Löse Dich von den Versprechungen der Hersteller, wenn Deine Kunst nicht ausreicht, diese mit Leben zu erfüllen oder sie für Deine Kunst völlig überflüssig sind.“

Das Feuer knistert und der alte Mann streicht sich mit seiner furchigen Hand über den Bart. Dann flüstert er leise:

„Und höre auf, dich an sinnlosen Diskussionen in diesem Internet zu beteiligen.“

Ich antworte:

„Ja, Meister. Ich werde versuchen, alle Ratschläge zu beherzigen. Nur Deine Worte werde ich noch in einem letzten Blogpost all den Streithähnen dort draußen kundtun, die sich über Nikon oder Canon, DSLM oder DSLR, ISO-Werte, Serienbilder, Tethered-Shooting oder HSS streiten.“

Dann bedanke ich mich bei dem Weisen, trete aus der dunklen Höhle, schaue ins Licht und überlege, ob ich mit der neuen Sony den alten Mann am Lagerfeuer nicht vielleicht doch bei 51.000 ISO eindrucksvoll hätte festhalten können.

About the Author:
Hat Geschichte studiert und will mit Bildern Geschichten erzählen. Wenn er fotografiert ist er glücklich, wenn die Fotografierten glücklich sind, ist er erst recht glücklich. Autodidakt mit aktueller Tendenz zum Weniger ist Mehr.


1 Comments:

  1. Lotta
    August 29, 2017

    Ich habe mich beim Lesen köstlich amüsiert…Ja, genauso isses…;-)


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